Cyberchondrie: Warum Dr. Google kein guter Arzt ist

Allgemein Die jungen Alten Gesundheit, meine Liebe! Mann, wie geht's Dir?

Wir alle tun es, wenn’s irgendwo wehtut: suchen im Internet nach einer passenden Diagnose. Doch immer mehr Menschen googeln sich auf diese Weise krank – und dafür gibt es mittlerweile sogar einen Fachausdruck: Cyberchondrie. Was hinter dem neuen Phänomen steckt – und warum es so gefährlich ist. 

Was ist Cyberchondrie?

Cyberchondrie ist eine Begleiterscheinung der klassischen Gesundheitsangststörung, auch Hypochondrie genannt. Betroffene glauben, schwerkrank zu sein und feuern ihre Sorgen unbewusst durch stundenlanges Surfen im Internet an. Doch gerade Gesundheitsforen und Online-Selbsthilfegruppen können ein unerschöpflicher Fundus an Horrorgeschichten und damit für sensible Menschen ein Risiko sein.

Wer ist betroffen?

Experten schätzen, dass in Deutschland zwischen 600.000 und 800.000 Menschen unter Hypochondrie leiden. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich wie immer deutlich höher. Frauen sind etwas stärker betroffen als Männer. Möglicherweise nehmen sie ihre Probleme aber auch einfach nur ernster und holen sich im Gegensatz zu Männern professionelle Hilfe ein statt still vor sich hinzuleiden. Auch Menschen aus medizinischen Berufen wie Krankenschwestern und Pfleger erkranken statistisch gesehen vermehrt.

Was sind die Auslöser?

Die Ursachen für Cyberchondrie sind vielfältig: Oft sind es so genannte Schwellensituationen, beispielsweise Krankheit, Tod, Jobverlust oder chronische Beziehungsprobleme. Aber auch freudige Erlebnisse wie eine Hochzeit oder die Geburt eines Kindes. Fast immer empfinden Betroffene in diesen Momenten eine immense Überforderung. Und diese bahnt sich nicht selten getarnt ihren Weg: Etwa in Form einer Panik vor Krebs statt der Sorge, als Mutter oder neue Vorgesetzte nicht bestehen zu können.

Was sind die Folgen?

Wer sonst vielleicht zu einem medizinischen Fachbuch griff, erhält nun mit nur wenigen Klicks und zu jeder Zeit mehr Informationen aus dem Netz als ihm gut tut. Und plötzlich verselbständigen sich solche Recherchen und können zum Problem werden. „Betroffene versuchen dann durchs Dauer-Googeln oder Ärztehopping Kontrolle zurückzugewinnen. Gleichzeitig vertrauen sie aber weder den Behandlern, noch den Methoden, wenn diese Entwarnung geben oder ohne Befund sind. Dann gehen sie schlicht davon aus, ihr Gegenüber sei inkompetent oder das Diagnoseverfahren war nicht das richtige“, erklärt Dr. Dina Barghaan, die als Psychologische Psychotherapeutin in der psychosomatischen Schön Klinik in Bad Bramstedt arbeitet. „Die Folge: Sie scheitern an dem Wunsch, 100-prozentige Sicherheit zu bekommen. Denn die gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: das Internet schürt nur noch mehr Ängste.“

Wie wird Cyberchondrie therapiert?

Kreisen die Gedanken nur noch um das eigene Befinden, werden Freunde, aber auch das Äußere vernachlässigt, kann eine ambulante Therapie eine Lösung sein. Nur in schweren Fällen findet diese stationär und flankiert durch Medikamente statt, damit die Sorgen der Patienten nicht zusätzlich angeheizt werden.

Mit unterschiedlichen Ansätzen wird der hypochondrialen Störung dann zu Leibe gerückt. „Die Patienten lernen zu verstehen, dass die Krankheitsangst nur ein Stellvertreter-Symptom für ein anderes zugrundeliegendes Problem ist, das wir dann behandeln. Zudem erzielen wir gute Erfolge mit der Verhaltenstherapie. Ein wichtiges Element daraus sind die so genannten Expositionsübungen. Dabei spielen wir gedanklich und unter Anleitung eines Therapeuten den Alptraum des Patienten durch: krank zu sein und am Ende sogar zu sterben. Ziel ist es, die Furcht nicht wegzudrücken, sondern auszuhalten und zu spüren, dass sie mit der Zeit nachlässt“, so Barghaan.

Genussmittel sorgen für körperlichen Stress

Auch am Krankheitsmanagement der Erkrankten wird gearbeitet. Wer sonst jede Minute vor Dr. Google oder seinem Arzt sitzt, reduziert Stück für Stück die (virtuellen) Praxisbesuche. „Nach der Therapie helfen Entspannungsübungen wie autogenes Training und Progressive Muskelentspannung nach Jacobson dabei. Im Idealfall sollten sie wie das Zähneputzen täglich in den Alltag eingebaut werden“, empfiehlt die Expertin und rät gleichzeitig den Konsum von Kaffee, Alkohol und Zigaretten einzuschränken oder sogar komplett darauf zu verzichten. „Diese Giftstoffe erzeugen eine starke Anspannung im Körper.“

Mehr Glück, weniger Beschwerden

Ein entscheidender Schritt ist auch, mehr positive Dinge ins Leben zu integrieren. Sei es regelmäßiger Sport, ein neues Hobby oder ein Ehrenamt. Barghaan: „Solche Verstärker fehlen Menschen mit psychosomatischen Störungen in der Regel. Sie erleben salopp gesagt, zu wenig Glücksmomente.“ Denn diese haben gleich zwei positive Nebenwirkungen: Durch sie wird das Wohlfühlhormone Serotonin ausgeschüttet, das entspannend und schmerzlindernd wirkt. Und die Angstpatienten vergessen für eine bestimmte Zeit ihre Sorgen.

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